Kritiken im Radio



„Take 5“ MDR CD Tip

11/2010

Für diese CD sollte man sich Zeit nehmen, sich vielleicht auch ein wenig über die Zeit dieser Musik belesen. Sonst könnte man sich vielleicht schwer tun, diese kleinbesetzte und sehr experimentelle Musik zu verstehen. Diese Empfehlung betrifft üblicherweise die Musik der Moderne, auf diesem Album handelt es sich jedoch um Barockmusik. Hochvirtuos und zeitweilig befremdend heutig anmutend erklingt sie. Man mag kaum glauben, dass das, was man da teilweise hört, lediglich von Barockvioline und Gitarre erzeugt wird. In den solistischen Werken aus der großen Geigenschule von Modenakonnten die großen Geigenmeister ihre Kunst voll auskosten, auch über Grenzen gehen und das improvisatorische Moment viel stärker betonen, als in Musik für größeres Ensemble. Mit Georg Kallweit an der Barockvioline und dem Lautenisten und Gitarristen Björn Colell haben sich zwei wahre Könner auf diesem Gebiet zusammengetan. Hier stimmt einfach alles, das Können auf dem Instrument, die Klanggebung, die Beweglichkeit der langen Töne, die rasante Spieltechnik und der Umgang mit dem Rubato, das bei dieser klein besetzten Musik eine so wichtige Rolle spielt. Die Musik stammt von Komponisten, die heute nur noch Insider kennen: Marco Uccelini, Giovanni Bononcini oder der ebenfalls aus Modena stammende Guiseppe Colombi.


Kulturradio
 - "Italienische Violinmusik aus dem 17. Jahrhundert"

Bernhard Morbach

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts war der Hof der Este in Modena ein Zentrum der Violinkunst in Italien: „Für die Entwicklung der Violinmusik war das System der Musikparonage am Modeneser Hof ein wahrer Glücksfall: Nirgendwo in Europa gab es zur gleichen Zeit ein so hervorragendes und zugleich experimentierfreudiges Streicherensemble. Dank der dauerhaften Unterstützung durch die Herzöge etablierte sich innerhalb von rund sechzig Jahren eine eigene Schule, die Vorreiter für das virtuose und ausdrucksstarke Violinspiel in der ganzen Barockepoche war.
Freilich wäre in diesem Zusammenhang anzumerken, dass die „erklingende Violinkunst“ in der Barockzeit nur mittelbar auf uns gekommen ist, einerseits in Schilderungen von Auftritten populärer Geiger-Komponisten (etwa Corelli oder Veracini), andererseits durch den besonderen Typus der Barockvioline. Abgesehen von der organologischen Grundcharakteristika, der Darmbesaitung, den besonderen Mensuren und dem Verzicht auf eine Kinnstütze, die sich ihrerseits auf Spieltechnik und Klang substanziell auswirken, erfordert die Barockvioline eine besondere Interpretationskultur, die uns auf der vorliegenden CD in hoher Vollendung vor Ohren steht
Kallweit beherrscht die hohe Kunst, den Violinton tendenziell "gerade" zu gestalten, aber ihn dennoch durch minimale Bebungen klanglich-affektiv zu beleben. Auch sein Einsatz der zentralen barocken Ornamente, Messa di voce, Trillo und Tremulo erfolgt so geschmackvoll wie gezielt und richtet sich auf einen möglichst intensiven Affektausdruck in jenen beiden "Grundrichtungen", die der Titel der CD benennt. Georg Kallweit, den man in Berlin wohl in erster Linie als alternierenden Konzertmeister der Akademie für Alte Musik kennt, gehört zu den herausragenden Barockgeigern der gegenwärtigen Szene der Alten Musik. Auf der vorliegenden CD wird seine Kunst umso deutlicher, da der Basso continuo sich klanglich geradezu minimalistisch präsentiert und bei einigen Stücken gar völlig "schweigt".

 

 

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